Holz-Imprägnierwerk der Firma Guido Rütgers in Chryplin (Galizien), um 1900 – Steiermärkisches Landesarchiv, Firmenarchiv Guido Rütgers, Karton 518.
„[T]wo new technologies rescued American forests from the iron horse: creosote oil and cars,” schreibt der amerikanische Umwelthistoriker John McNeill in seinem Klassiker Something New under the Sun (McNeill 2000, S. 310). Während die Geschichte der Automobilität inzwischen ganze Bibliotheken füllt, fehlen vergleichbar umfangreiche historische Abhandlungen zu dem Steinkohlenteeröl Kreosot. Sein Name ist heute mit dutzenden Altlasten-Standorten, tausenden Tonnen von Sondermüll und brennenden Fragen zur Umweltgerechtigkeit verbunden. Dieses Projekt zur Historisierung des Kreosots und seiner Anwendung als Holzimprägniermittel für Eisenbahnschwellen, die in regelmäßigen Wartungszyklen ausgetauscht werden, nimmt jüngere Impulse der Technikgeschichte und Science und Technology Studies zu Reparatur und Wartung auf, die die Lebenszyklen von Technik jenseits des etablierten Innovationsfokus beleuchten, und entwickelt diese weiter. Die Geschichte ambivalenter materieller Verflechtungen von Kreosot mit Pflanzen, Tieren und Menschen führt diese mit Fragen der Umwelt- und Medizingeschichte sowie den New/Neo Materialism zusammen.
Das Projekt zielt darauf ab, verschiedene europäische Fallstudien zu untersuchen, die eine Stoffgeschichte des Kreosots greifbar machen, ohne jedoch die Einbettung in den globalen Kontext zu vernachlässigen. Der Untersuchungszeitraum des Projektes erstreckt sich von den 1830er Jahren bis in die Gegenwart. Dabei soll die Zeit zwischen 1830 und 1880 lediglich als gestraffte Vorgeschichte erzählt werden. Die vertiefte Untersuchung beginnt dagegen erst mit den 1880er Jahren – jener Zeit, in der Kreosot von einem Imprägniermittel unter vielen zum dominierenden Holzkonservierungsstoff aufstieg. Eine der wichtigsten Leitfragen ist, wie sich ein schon früh als gesundheitsschädlich identifizierter Stoff mehr als 100 Jahre als Imprägnierstandard halten konnte. Die Antwort hierauf erschöpft sich nicht im Verweis auf die effiziente Imprägnierwirkung. Vielmehr untersuche ich aktuell dazu auch folgende darüberhinausgehende Arbeitshypothesen: Erstens verstärkte die mit der Wartung verknüpften Praktiken und Kulturen (des Unsichtbaren) die Persistenz der Imprägnierung mit Kreosot deutlich. Die prekäre Beschäftigungssituation in den Imprägnierwerken und im Bereich der Streckenerhaltung, bei denen häufig Wanderarbeiter als Tagelöhner eingesetzt wurden, begünstigte diesen Aspekt. Zweitens erfolgte die europäische Regulierung des Stoffes entsprechend seiner Gefahr für Mensch und Natur erst verhältnismäßig spät (in den 1990er/2000er Jahren), weil verschiedene Interessengruppen jahrzehntelang national und supranational gegen eine Verschärfung der Teerölregulierung arbeiteten. Drittens haben mit Kreosot imprägnierte Nutzhölzer wie Bahnschwellen eine lange Tradition der Umnutzung bei Privatnutzern, die – wenn auch deutlich weniger organisiert und wirkmächtig als die Interessengruppen der Holzwirtschaft – der kritischen öffentlichen Auseinandersetzung lange entgegenwirkte.